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Burnout und Sucht in pflegenden Berufen

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Die Anzahl an Suchtproblemen und Burnout in pflegenden Berufen war noch nie so hoch wie gerade jetzt. Burnout-Expertin Claudia Patz geht in diesem Artikel auf die verschiedenen Aspekte von Süchten ein und beantwortet die Frage, was zuerst da war – Burnout oder die Sucht und wie man diesen Teufelskreis durchbrechen kann.

Inhaltsverzeichnis

  1. Warum ist gerade in pflegenden Berufen die Suchtgefahr so groß?
  2. Was war zuerst da: Burnout oder die Sucht?
  3. Merkmale eines Burnouts
  4. Raus aus dem Teufelskreis – bin ich suchtgefährdet?

Warum ist gerade in pflegenden Berufen die Suchtgefahr so groß?

“Pflegenotstand” ist ein Begriff, welches ständig von den Medien thematisiert wird. Dies ist – gerade nach der Corona-Pandemie – keine hohle Phrase mehr. Der Personalmangel in der Pflege ist allgegenwärtig. Eine Studie von Simon um Mehmeke aus dem Jahr 2017 (also lange vor Corona) ergab, dass auf eine Pflegekraft im Durchschnitt 13 Patienten kommen.

Wann wird ein Verhalten zur Sucht?

Die WHO hat hier eine klare Definition gefunden: 

„Sucht“ wird verstanden als das zwanghafte Verlangen nach bestimmten Substanzen oder Verhaltensweisen, die Missempfindungen vorübergehend lindern und erwünschte Empfindungen auslösen. ”Die Substanzen oder Verhaltensweisen werden konsumiert bzw. beibehalten, obwohl negative Konsequenzen für die betroffene Person und für andere damit verbunden sind.“

Bis zum Ausbruch von Corona beobachte man vorrangig bei den Ärzten oder leitenden Mitarbeitern im medizinischen Bereich ein erhöhtes Suchtproblem. Durch die erschwerenden Arbeitsbedingungen, den Personalmangel, aber auch den Eindruck der Pflegekräfte, nicht ernst genommen zu werden von den politischen Verantwortlichen, verursacht immer mehr der Griff zu Schmerzmitteln oder Beruhigungstabletten. Dies ist durch die „Griffnähe“ der Medikamente zu erklären, die sich Pflegenden bieten.

Laut einer Studie in Deutschland und Österreich, an der Männer wie Frauen teilgenommen haben, wobei man einen Fragebogen anonym ausfüllen musste (nicht über sich selbst, sondern über Kollegen) kam man zu dem Ergebnis, das 40% der Teilnehmer von ein bis drei Fällen von Medikamenten-Missbrauch im Kollegenkreis wissen. Es stellte sich heraus, dass es in Deutschland mehr Fälle von Abhängigkeiten von Beschäftigten in Pflegeberufen gibt als in Österreich.

Es sind nicht nur Medikamente, sondern auch Alkohol, illegale Drogen, aber auch nicht substantielle Süchte (Spielsucht, Kaufsucht usw), auf die die Pflegenden greifen, wenn es gilt, sich abzulenken. Aufgrund der belastenden physischen und psychischen Anforderungen im Arbeitsumfeld wird dadurch ein trügerischer Ausgleich geschaffen, um „abzuschalten“. Dies stellt natürlich nicht nur eine enorme Gefährdung für die Patienten dar, sondern auch für die Pflegekraft, die ihren Arbeitsplatz riskiert.

Info: Aus Selbsthilfegruppen ist von vielen Betroffenen aus dem Pflegebereich bekannt, dass sie sich der Gefahr der ständigen Einnahme von Medikamenten durchaus bewusst sind. Aber wie viele andere Betroffene, sind auch sie in der Annahme, gerade weil sie damit tagtäglich zu tun haben, in keinem “klassischen Abhängigkeitsverhältnis” zu stehen.

Was war zuerst da: Burnout oder die Sucht?

In pflegenden Berufen wird eine hohe psychische und auch physische Beanspruchung von jedem einzelnen gefordert. Es geht nicht mehr nur um die Pflege “beim Bett“, sondern erfordert auch einen hohen organisatorischen Aufwand, der viel Zeit beansprucht. Da der Patient immer im Vordergrund stehen sollte, ist man dadurch gezwungen, oft länger als die geplante Arbeitszeit zu bleiben, um alle organisatorischen Angelegenheiten zu erledigen. 

Betroffene berichten, dass, durch die ständig anhaltende Belastung, sich oft das Gefühl einstellt “in der Arbeitsstätte zu leben”. Weiter geben sie an, dass sie, wenn der Dienst endlich beendet ist, trotzdem nicht zur Ruhe kommen und eine medikamentöse Schlafunterstützung benötigen, um einschlafen zu können. Andere berichten wieder, dass sie oft viel zu lange am Smartphone im Internet surfen “um runter zu kommen und den Alltag zu vergessen”. Dadurch entwickelt sich aber sehr schnell ein Schlafdefizit, das man nicht mehr ausgleichen kann. Die Gereiztheit und Unkonzentriert wächst prozentual mit der Belastung. 

Laut einer Erfassung der AOK vom August 2022 waren im Jahr 2021 28,2 Krankenstandstage je 100 AOK Mitglieder wegen Burnout im Krankenstand. Es ergibt sich hier ein signifikanter Unterschied zu anderen Berufsgruppen mit 14,2 Krankenstandstagen. Die durchschnittlichen Ausfalltage liegen um 27% höher als in anderen Berufsgruppen. 

Burnout wird zwar als “plötzlich auftretend” wahrgenommen, ist aber subjektiv betrachtet eine schleichende Entwicklung. In diesem langsam verlaufenden Prozess wird von Betroffenen berichtet, dass sie “schon bemerkt hätten, schlechter zu schlafen, gereizter zu sein, oder bei geringfügigen Alltagsaufgaben eine Form der Überforderung oder Stress wahrnehmen“. 

In Deutschland greifen laut Statistik (2014) der Paracelsus Universität Salzburg 60% aller Pflegekräfte zu Medikamenten, die nicht unter das verschreibungspflichtige Suchtmittelgesetz fallen, wie zum Beispiel Beruhigungsmittel. In Österreich sind es 40%.

Durch den Zugang zu schlaffördernden Medikamenten gaben die Mitarbeiter aus dem Pflegeberuf an, allerdings in der Annahme gewesen zu sein, “einfach gerade eine schlechte Phase zu haben, die sie selbst therapieren können”. Gerade in pflegenden Berufen wird Burnout als Schwäche empfunden, den geforderten Aufgaben nicht gewachsen zu sein. In dem Magazin Pflegewissenschaft 02/10 wird aber darauf verwiesen, dass das Maß der Unzulänglichkeit bei Burnout aber auch mit den Persönlichkeiten der Betroffenen zusammenhängt. 

In den Untersuchungen (Zeitschrift Pflegewissenschaften 02-10) kam man auch zu der Erkenntnis, dass Zeitmangel und die  nicht vorher absehbaren unterschiedlichen Arbeitsbelastungen als Hauptursache für ein Burnout angegeben werden. Es spielt also nicht nur die Persönlichkeit eine Rolle, sondern auch die vorgegebenen Arbeitsbedingungen. 

Durch die Selbstmedikation versuchen die Betroffenen den gesteigerten Anforderungen besser gewachsen zu sein und dadurch keinen Leistungsabfall zu erlangen. Pflegekräfte geben auch nach einer Therapie oft an, dass sie sich des Burnout bewusst waren, aber es unter Zuhilfenahme von Medikamenten “bekämpfen” zu können. Für Kollegen und Vorgesetzte ist es wichtig, bei Verdacht eines Suchtproblems im Team dieses in einem ruhigen und nicht vorwurfsvollen Rahmen anzusprechen. 

Merkmale eines Burnouts

Wenn du merken solltest, dass sich dein Kollege/in in den letzten Wochen oder Monaten verändert hat und du den Verdacht hast, dass sich bei einem Teammitglied ein Burnout abzeichnet, dann soll dir diese Tabelle der Warnsymptome dabei helfen:

merkmale burnout

Falls du einige oder auch mehrere Merkmale an eine:r Kollegin oder Kollege aus deinem Team über einen längeren Zeitraum beobachten solltest, dann versuche das Gespräch mit dem oder derjenigen zu suchen. Falls der Betroffene nicht bereit ist, ein Gespräch mit dir zu führen und du die Befürchtung hast, ein Patient könnte durch das veränderte Verhalten deiner Kollegin gefährdet sein, wende dich an deinen Teamleiter oder an den Personalrat. 

Oft wird über die Problematik eines Kollegen oder Kolleginnen nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen, weil man die Befürchtung hat, wenn man den Betroffenen direkt anspricht, dass dies das Verhältnis zum Kollegen massiv eintrüben könnte.

Raus aus dem Teufelskreis – bin ich suchtgefährdet?

Falls du schon seit Monaten immer schlechter schläfst, dein Geist nicht mehr zur Ruhe kommt und du nur mehr an die Belange in der Klinik denken musst, dann bist du vielleicht versucht dich mit Beruhigungsmitteln aus dem Medikamentenschrank, oder mehreren Gläsern Wein zuhause zu beruhigen und den “Alltag mal zu vergessen”. 

Falls dieses Szenario fast täglich passiert, dann könnte es möglich sein, dass deine Belastung bereits so hoch ist, dass du ein Burnout hast und auch suchtgefährdet bist. Die tägliche Belohnung durch mehrere Gläser Wein, der Griff zum Schlafmittel, oder auch das exzessive Verhalten in Bezug auf Spielen, Internet oder Sexualität kann ein Warnhinweis für eine Sucht sein. 

Teste dich selbst: 

Nr.FrageJaNein
1Bist du morgens bereits müde?
2Der Gedanke an den bevorstehenden Tag macht dir Stress?
3Hast du das Gefühl, keiner versteht dich und deine Sorgen in der Arbeit?
4Fühlst du dich alleine gelassen von Familie und Freunden? 
5Belohnst du dich selbst mit Alkohol, Medikamenten oder exzessivem Kauf oder Spielverhalten? 
6Kannst du ohne diese Hilfsmittel nicht mehr zur Ruhe kommen?
7Vermeidest du deine sozialen Kontakte?
8Wenn dich jemand auf deinen Bsp. Alkoholkonsum anspricht, reagierst du aggressiv und hast das Gefühl dich rechtfertigen zu müssen?
9Hast du oft das Gefühl der inneren Erschöpfung?

Falls du mehr als die Hälfte der Fragen mit einem Ja beantwortet hast, könnte es möglich sein, dass es auf ein Suchtverhalten zugeht oder dich bereits in einem befindest. 

Entscheidend ist, dass du Hilfe bekommst und Unterstützung. Rede mit den Menschen aus deinem Umfeld, denen du vertraust. Falls du aber Scheu hast, dich Vertrauten aus deiner Umgebung zu öffnen, aus Angst vor Zurückweisung oder Schuldzuweisungen, dann kannst du auch zu deinem Hausarzt deines Vertrauens gehen und ihm deine Situation darlegen. 

Viele Selbsthilfegruppen für Burnout bieten auch gleichzeitig Unterstützung bei der Suchtproblematik an. Hier bist du in einem anonymen und geschützten Rahmen. Du bist nicht in einem Teufelskreis gefangen, sondern hast die Möglichkeiten, diesen jederzeit zu verlassen. 

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