"

Perfektionismus: Maßstäbe, die krank machen können

0

Perfektionismus hat in manchen Kreisen gar keinen so schlechten Ruf – manche Bewerber:innen geben ihn im Bewerbungsgespräch gar augenzwinkernd als Schwäche an. Dabei sind schwere Perfektionisten keine guten Mitarbeiter:innen. Auch ihr Sozialleben kann unter der Störung leiden und schließlich kann dies sogar zu ernsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist Perfektionismus?
  2. Mögliche Ursachen für Perfektionismus
  3. So äußert sich perfektionistisches Verhalten
  4. Darum kann Perfektionismus krank machen
  5. Perfektionismus erkennen, überwinden und ablegen
  6. FAQ

Was ist Perfektionismus?

Perfektionist:innen haben hohe Erwartungen an sich selbst und manchmal auch an ihr Umfeld. Sie legen hohe Maßstäbe an, ihr Ziel ist das Erreichen von Perfektion. Allerdings gibt es innerhalb des Perfektionismus verschiedene Ausprägungen:

  • selbstgerichteter Perfektionismus: hier legen die Betroffenen die Messlatte für sich selbst sehr hoch
  • sozialer Perfektionismus: hier gehen die Betroffenen davon aus, dass das Umfeld sehr hohe Maßstäbe für sie anlegt
  • außengerichteter Perfektionismus: hier erwarten die Betroffenen von anderen perfektes Handeln oder Arbeiten

Eine andere Art der Unterscheidung ist die folgende:

  • funktionaler Perfektionismus: hier versuchen die Betroffenen immer ihr Bestes zu geben und strengen sich bei der Erfüllung aller Aufgaben an – sie sind ehrgeizig, können aber auch damit leben, wenn einmal etwas nicht klappt oder sie einen Fehler begehen
  • dysfunktionaler Perfektionismus: er beinhaltet das Streben nach Perfektion, ist allerdings verbunden mit steter Sorge der Betroffenen, nicht gut genug zu sein – ihr Selbstwert hängt stark davon ab, ob sie Dinge perfekt schaffen; mit Kritik können sie nicht gut umgehen

In letzterem Fall kann der Perfektionismus schwere gesundheitliche und soziale Auswirkungen für die Betroffenen haben.

Mögliche Ursachen für Perfektionismus

Perfektionismus kann ganz unterschiedliche Ursachen haben, von denen die meisten allerdings in der Kindheit der Betroffenen begründet liegen:

  • Nachahmung: Sind Eltern perfektionistisch veranlagt, ahmen Kinder das häufig nach.
  • Erwartungshaltung: Erwarten Eltern von ihren Kindern laufend Höchstleistungen und lassen ihnen Fehler nicht durchgehen, verinnerlichen Kinder das entsprechende Verhalten.
  • Vernachlässigung: Kümmern sich Eltern wenig oder gar nicht um das, was ihre Kinder tun, entwickeln manche ein perfektionistisches Verhalten, damit die Eltern auf sie aufmerksam werden und sie loben.
  • Gewalt: Arbeiten Eltern mit Bestrafung oder gibt es grundsätzlich gewalttätiges Verhalten in der Familie, versuchen Kinder, durch perfektes und fehlerfreies Verhalten so wenig Anlass wie möglich für Strafen und Gewalt zu geben.

Allerdings gibt es auch Menschen, die eher eine Veranlagung zum Perfektionismus haben als andere. Komplett sind die Ursachen für Perfektionismus nicht erforscht.

So äußert sich perfektionistisches Verhalten

Perfektionist:innen können Aufgaben nicht gut beenden: Sie feilen, verändern, verbessern und kommen nur sehr schwer an den Punkt, an dem sie ihre Arbeit aus der Hand geben können. Sie stecken ihre Ziele extrem hoch und wenn sie keinen Erfolg haben, leiden sie unverhältnismäßig stark darunter (wenn es sich um dysfunktionalen Perfektionismus handelt). Das Streben nach Perfektion ist unweigerlich verbunden mit der Angst vor dem Versagen – und das ist ein Gefühl, das lähmt oder bremst.

Dadurch verbeißen sich Betroffene häufig in Details, während sie das große Ganze aus den Augen verlieren. Das ist bei der Arbeit speziell in Teams oft hinderlich. Hier ist es auch störend, wenn Perfektionist:innen von ihren Kolleg:innen ebenfalls extrem hohe Leistung erwarten: Sie setzen unter Druck, mischen sich ein und kritisieren, während sie selbst mit Kritik nicht gut umgehen können. Je länger dieses Verhalten andauert, desto leichter geraten die Betroffenen in die sogenannte Perfektionismusfalle.

Die Perfektionismusfalle

Das Selbstwertgefühl von Perfektionist:innen hängt davon ab, ob sie Erfolge erzielen und gute Leistungen erbringen. Übertragen sie dies auf die Kolleg:innen, betrachten sie alle diejenigen, die ihren hohen Ansprüchen nicht genügen, als Versager:innen. Ihr Weltbild wird zunehmend schwarzweiß, und dadurch wächst auch die Angst, selbst zu den Versagern zu gehören. Der Perfektionismus artet in andauernden seelischen Stress aus.

perfektionismusfalle

Darum kann Perfektionismus krank machen

Es gibt verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen, die mit Perfektionismus einhergehen können. Bezieht sich das Gefühl, bestimmte Ansprüche erfüllen zu müssen, auf das Äußere, kann das unterschiedliche Ausprägungen annehmen: Frauen neigen in solchen Fällen oft zu Essstörungen, während Männer sich häufig extremen sportlichen Anstrengungen unterziehen (diese gehen immer wieder auch mit einseitiger Ernährung einher, was ebenfalls ungesund ist).

Auf der Arbeit hingegen führt Perfektionismus, wie oben gezeigt, oft zu lang anhaltendem Stress. Der Mensch kann aber dauerhaften Stress nicht ertragen: Er macht krank. Der Blutdruck steigt, ebenso wie das Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte und allgemein Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wer laufend zu viel arbeitet, weil das Gefühl des möglichen Versagens ein andauernder Antrieb ist, kann sich irgendwann nicht mehr erholen.

Mehr zum Thema Stress-Symptome erfährst du hier.

Exkurs: Workaholismus

Perfektionismus begünstigt Workaholismus (Arbeitswut) stark. Diese äußert sich dergestalt, dass die Arbeit zum kompletten Lebensinhalt wird – nichts anderes zählt mehr, aber gleichzeitig kann die betroffene Person keine Aufgabe abschließen. Es muss immer noch besser gehen!

Während schließlich wegen Überarbeitung die Energie schwindet, bleiben die eigenen Ansprüche hoch. Die Angst wächst, das Selbstwertgefühl sinkt. In dieser Situation beginnen die Gedanken immer mehr zu kreisen: Was, wenn ich meine Ziele nicht erreiche, wenn alle sehen, wie ich versage, wenn mich niemand mehr mag, weil ich den Ansprüchen nicht genügen kann? Schlaflosigkeit ist eine Folge davon, und in der Regel kommt es dann wirklich häufiger zu Fehlern.

Müssen Perfektionist:innen Kritik einstecken, ist das schlimm für sie. Sie können sie nicht einfach annehmen, sondern leiden dadurch an einem stark beschädigten Selbstwertgefühl. Um so selten wie möglich kritisiert zu werden, steigern sie ihre Anstrengungen und verausgaben sich. Oft ist ein Burnout die Folge, der bis in die Depression führen kann. 

Burnout und Depression sind komplexe Krankheitsbilder, bei denen Betroffene oft für einen langen Zeitraum ausfallen. Dann kommt regelmäßig zur allgemeinen Versagensangst auch noch die Sorge um die Zukunft dazu. Zudem ist es nicht einfach, kurzfristig einen Therapieplatz zu finden. Viele Patient:innen machen die Erfahrung, dass es insbesondere bei Therapeut:innen mit Kassenzulassung lange Wartezeiten gibt.

Burnout, sowie andere psychische Krankheiten, gehören zu den häufigsten Ursachen der Berufsunfähigkeit. Der Trend ist (leider) steigend. Aktuell wird jede:r vierte Arbeitnehmer in Deutschland während seiner beruflichen Laufbahn einmal berufsunfähig. Daher ist es wichtig, sich davor abzusichern. Die Berufsunfähigkeitsversicherung von Getsurance bietet dabei die Möglichkeit, auch psychische Krankheiten in den Versicherungsschutz zu integrieren.

Berechne jetzt deinen monatlichen Beitrag in nur 1 Minute und finde deine passende BU-Rente.

Perfektionismus erkennen, überwinden und ablegen

Hast du das Gefühl, dass du nur etwas wert bist, wenn du erstklassige Arbeit leistest (oder makellos aussiehst), solltest du dich auch in anderen Punkten hinterfragen:

  • Vergleichst du dich oft mit anderen?
  • Kannst du schlecht mit Kritik umgehen?
  • Hast du Angst, deinen eigenen und fremden Anforderungen nicht gerecht zu werden?
  • Blickst du mit Unverständnis auf Menschen, die 80 Prozent geben und das okay finden?
  • Verlierst du dich in Details?
  • Hasst du es, Fehler zu machen?
  • Erwartest du von dir selbst immer Bestleistungen?

Wenn du oft mit ja antwortest, neigst du zum Perfektionismus.

Ideal wäre es, wenn du eine Verhaltenstherapie oder ein Coaching in Betracht ziehst. Viele Perfektionist:innen schrecken davor aber zurück – schließlich bedeutet dieser Schritt das Eingeständnis, dass man Hilfe braucht. Du kannst aber auch versuchen, ohne therapeutische Unterstützung selbst an dir zu arbeiten:

  • Schraube aktiv deine Erwartungen herunter.
  • Erlaube dir, Fehler zu machen – sei gnädig mit dir, wenn es passiert.
  • Bitte um Hilfe, wenn du allein nicht weiterweißt.
  • Nimm Kritik als Hilfe, nicht als Abwertung an.
  • Versuche, dich nicht mit anderen zu vergleichen.
  • Wende den Blick von den Details ab und schaue aufs große Ganze.

Es ist extrem schwierig, diese Schritte immer wieder zu gehen, aber es lohnt sich: Du kannst so auf die Dauer viele Zwänge ablegen, die dich einengen und beschneiden. Dazu zählen beispielsweise Kontrollzwänge wie die wiederholte Kontrolle kleinster Routinearbeiten aufgrund der Angst vor Fehlern, oder Ordnungszwänge. Nach einiger Zeit wirst du feststellen: Auch ohne das Streben nach Perfektion ist es möglich, gute Leistungen zu erbringen und hochgesteckte Ziele zu erreichen.

FAQ: Perfektionismus

Woran erkennt man Perfektionisten?

Perfektionisten können Aufgaben nur schwer abschließen – immer gehen sie davon aus, dass sich noch etwas verbessern lässt. Sie legen an sich selbst extrem hohe Maßstäbe an. Tun sie das auch bei anderen, verhalten sie sich übergriffig und rechthaberisch. Sie erwarten zu viel und werden wütend, wenn andere ihre Erwartungen nicht erfüllen können. Andererseits leiden sie stark darunter, Fehler zu machen oder lediglich gute statt exzellenter Ergebnisse zu erzielen: Ihr Selbstwert hängt von der Perfektion ab. Sie sehen sich selbst als wertlos an, wenn sie hinter ihren eigenen Erwartungen zurückbleiben, und sind davon überzeugt, dass auch andere das tun.

Wer neigt zum Perfektionismus?

Es gibt verschiedene Voraussetzungen, unter denen Menschen zum Perfektionismus neigen. Einerseits kann das passieren, wenn die Eltern es vorleben. Aber auch überzogene Erwartungshaltungen durch die Eltern können dazu führen, ebenso wie das Gegenteil: Kümmern sich die Eltern kaum um ihre Kinder, legen diese selbst oft strenge Maßstäbe an, um Aufmerksamkeit zu erringen. Und schließlich kann auch Gewalt in der Familie dazu führen, dass Kinder versuchen, durch fehlerfreies, vorbildliches Verhalten Ausbrüche und Bestrafungen zu umgehen.

Ist Perfektionismus gut oder schlecht?

Grundsätzlich kann Perfektionismus zu Höchstleistungen antreiben. Allerdings unterscheidet man funktionalen und dysfunktionalen Perfektionismus. Bei Ersterem sind Menschen in der Lage, Fehler und Niederlagen zu akzeptieren. Dysfunktionaler Perfektionismus hingegen verhindert das – die Betroffenen hadern mit allem, was nicht perfekt läuft, und schränken sich und andere dadurch extrem ein. Dysfunktionaler Perfektionismus ist also schlecht, während funktionaler Perfektionismus auch positive Auswirkungen haben kann.

Kann Perfektionismus krank machen?

Tatsächlich ist das der Fall. Die dauernde Versagensangst und der Druck, alles immer perfekt machen zu wollen, sind stressig und anstrengend. Entspannung ist nicht möglich, daher kann es zu krankhafter Erschöpfung, Depression und Burnout kommen. Perfektionistische Frauen neigen häufiger zu Essstörungen, während perfektionistische Männer teilweise extremes Verhalten im Sportbereich zeigen.

Wie kann man Perfektionismus ablegen?

Es ist schwierig, Perfektionismus beizukommen – es gehört ja zum Bild der Störung, dass die Betroffenen keine Hilfe annehmen möchten. Der Gang zum/zur Therapeut:in ist daher für viele ein Eingeständnis, zu dem sie sich nicht überwinden können. Wichtig ist aber, dass die Betroffenen selbst an sich arbeiten und sich aktiv klarmachen, dass Fehler nichts Schlimmes sind und dass die Maßstäbe lockerer sein dürfen. Zudem müssen sie verinnerlichen, dass Kritik normal ist und angenommen werden kann und dass man nicht alles überanalysieren, sondern Dinge auch einfach angehen kann. Das erfordert aber sehr viel Arbeit – eine Therapie kann hier helfen, da die Betroffenen hilfreiche Vorgehensweisen erlernen!

Hinterlasse einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.